

20.01.2016
Minister Stoch: „Die Gemeinschaftsschulen müssen den Vergleich mit anderen Schularten nicht scheuen und befinden sich auf einem guten Weg.“
Professor Bohl: „Schulen, die sich derart intensiv evaluieren lassen, sind sehr an ihrer Qualität interessiert.“
Das Forschungsprojekt „WissGem“, das vom Wissenschaftsministerium im Dezember 2012 in Auftrag gegeben worden war und im August 2013 gestartet ist, verfolgt die Zielsetzung, Gelingensfaktoren von Gemeinschaftsschulen zu untersuchen. In dem als Begleitforschung konzipierten Projekt ging es darum, den Alltag der Lehrerinnen und Lehrer an Gemeinschaftsschulen zu beleuchten und Herausforderungen zu identifizieren. Auf dieser Basis sollen Empfehlungen für die weitere Schulentwicklung und Unterrichtsgestaltung aufgezeigt werden. An dem Forschungsprojekt beteiligten sich acht Hochschulen mit insgesamt 31 Wissenschaftlern. Es gliedert sich in vier Teilprojekte (Begleitforschung, Situation und Sichtweise der Akteure, Sozialraumanalyse, Interventionsstudie Diagnosekompetenz). Untersucht wurden – je nach Teilprojekt unterschiedlich – insgesamt mehrere tausend Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte sowie Eltern an Gemeinschaftsschulen der ersten beiden Genehmigungsrunden (vorrangig der ersten Runde). Die Forscher führten zudem ca. 900 systematische Unterrichtsbeobachtungen sowie Analysen von ca. 1.300 Schülertexten und ca. 400 Aufgaben durch. Die Gruppe um Professor Dr. Thorsten Bohl (Universität Tübingen) wird den Abschlussbericht im Sommer 2016 als Buch veröffentlichen. Erste Ergebnisse liegen als Kurzfassung vor. Diese stellt das Kultusministerium jetzt, wie angekündigt, vor.
Das Design der Studie greift zentrale Themen der aktuellen Schul- und Unterrichts-forschung auf. Schülerleistungstests waren kein Bestandteil der Studie. „Diese waren nicht beauftragt, sie sind zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung noch nicht sinnvoll“, sagte Professor Bohl. Mit den so gefundenen Erkenntnissen können wichtige Prozesse der Weiterentwicklung fokussiert und unterstützt werden. Die Bereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer an Gemeinschaftsschulen, die Qualität ihres Unterrichts untersuchen zu lassen, bezeichnete Bohl als sehr beachtlich. „Schulen, die sich derart intensiv evaluieren lassen, sind sehr an ihrer Qualität interessiert. Keine andere Schulart ist bislang so intensiv und über einen so langen Zeitraum untersucht worden.“
Forscher zur Unterrichtsqualität an
Gemeinschaftsschulen
Die Unterrichtsqualität der untersuchten Lerngruppen steht
der von Lerngruppen an anderen weiterführenden Schularten
nicht nach – dies, obwohl es sich bei der Gemeinschaftsschule
um eine neu eingeführte Schulart handelt. Auf einer
vierstufigen Skala der Unterrichtsqualität erreichten knapp 64
Prozent der 349 beobachteten Unterrichtssequenzen die beiden oberen
Qualitätsstufen. In einer Vergleichsstichprobe aus anderen
Schularten finden sich rund 61 Prozent der Unterrichtssequenzen in
diesem Bereich. Professor Bohl: „Es existieren insgesamt keine
auffälligen Befunde im Bereich der Unterrichtsqualität
zugunsten oder zuungunsten der untersuchten Lerngruppen an den
Gemeinschaftsschulen.“ Die Unterrichtsqualität sei
ausschlaggebend für die motivational-affektive Entwicklung der
Schülerinnen und Schüler. Die Wissenschaftler zeigen in
ihrer Untersuchung ferner, dass die Qualität des Unterrichts
an den Gemeinschaftsschulen – wie an anderen Schularten auch
– von kompetentem Lehrerhandeln abhängig ist.
Forscher: Beachtliche Anstrengungen der Lehrerkollegien
– Gefahr der Überforderung
Die Lehrerinnen und Lehrer an Gemeinschaftsschulen zeigen sich
offen gegenüber pädagogischen Innovationen und sind an
einer Zusammenarbeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen sehr
interessiert, fanden die Autoren von „WissGem“. Gerade
die Kooperation der Lehrkräfte sei ein wichtiges
Qualitätsmerkmal von Gemeinschaftsschulen. Die Zusammenarbeit
sei insbesondere dann erfolgreich, wenn sie von Schulleitungen
unterstützt und strukturiert würde und sich
nachdrücklich auf den Unterricht beziehe. Man dürfe aber
nicht übersehen, dass die Arbeit an Gemeinschaftsschulen
für die Lehrerinnen und Lehrer mit einem erheblichen Anstieg
der Anforderungen – sowohl in qualitativer als auch in
quantitativer Hinsicht – und damit mit der Gefahr der
Überforderung verbunden sei. Deshalb, so empfehlen die
Forscher, sollte etwa über andere Formen der Bemessung der
Lehrerarbeitszeit und Unterstützung nachgedacht werden. Bohl:
„Die Anstrengungen der Lehrerinnen und Lehrer an
Gemeinschaftsschulen sind höchst bemerkenswert.“
Minister Stoch: Unterrichtsqualität steht im
Zentrum der Entwicklung des baden-württembergischen
Schulsystems
„Aus den Ergebnissen der Forscher zur
Unterrichtsqualität nehme ich den eindeutigen Auftrag mit,
weiterhin für die Verbesserung der pädagogischen
Qualität in allen Schulen einzutreten“, sagte
Kultusminister Andreas Stoch. Wichtige Maßnahmen im Bereich
der Lehreraus- und -fortbildung seien bereits ergriffen worden.
Stoch: „Diesen Weg möchten wir fortsetzen, da die
Qualität des Lehrerhandelns eine entscheidende Variable
für die Qualität unseres Schulwesens insgesamt ist. Eine
ganze Reihe Studien hat dies gezeigt.“ Die beschriebenen
Belastungen der Lehrerinnen und Lehrer will Stoch zum Anlass
nehmen, die bestehenden Unterstützungssysteme weiter
auszubauen: Fortbildungen, Supervision und Beratung,
Lehrergesundheit, digitale Bildungsplattform oder Entlastungen
für besondere Aufgaben seien zentrale Handlungsfelder.
Forscher: Selbstgesteuertes Lernen für
leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler
große Herausforderung
Gemeinschaftsschulen benötigen einen gut abgestimmten
Methodenmix aus Inputphasen, Elementen des selbstständigen
Lernens und kooperativem Kompetenzerwerb. Wichtig sei der enge
Bezug zu den fachlichen Inhalten. Die Forscher fanden heraus, dass
Selbstlernphasen von leistungsstarken Schülerinnen und
Schülern am stärksten aktiv genutzt werden.
Leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler dagegen
benötigten mehr Struktur und Unterstützung durch die
Lehrkraft, um aus diesem methodischen Element der
Gemeinschaftsschule einen Vorteil zu ziehen. „Hieraus ergeben
sich hohe Anforderungen an die Unterrichtsqualität“,
sagte Bohl. Bohl und seine Kollegen forderten, auch aus diesem
Grund noch stärker für eine weitere Verbesserung der
Unterrichtsqualität, insbesondere auch in fachdidaktischer
Perspektive, einzutreten.
Stoch: Gemeinschaftsschulen etablieren sich und bieten
auch Schülerinnen und Schülern mit hohem Leistungsniveau
ansprechende Lernbedingungen – weitere
Kraftanstrengungen sind dennoch notwendig
„Um konkrete Handlungsempfehlungen – etwa zum
selbstgesteuerten Lernen – zu erhalten, haben wir die
Begleitforschung in Auftrag gegeben“, erklärte der
Kultusminister. „Wenn hier etwas korrigiert oder verbessert
werden kann, werden wir das zügig angehen und umsetzen.“
Dass die Gemeinschaftsschule auch Schülerinnen und
Schülern mit hohem Leistungsniveau ansprechende
Lernbedingungen biete, sei eine sehr positive Rückmeldung. Die
271 Gemeinschaftsschulen sieht der Kultusminister auf einem guten
Weg. Vor Ort hätten sie sich gut etabliert und seien bestens
mit außerschulischen Partnern vernetzt, wie die Studie
ebenfalls hervorhob. „Sie sind ein wichtiger Beitrag für
die Stabilität der regionalen Schullandschaft. Und sie
unterstützen den Bildungserfolg der jungen Menschen.“
Der Kultusminister weiter: „Die Studie gibt uns eine realistische Rückmeldung. Die Untergangsszenarien aus dem Sommer letzten Jahres erweisen sich als vollkommen haltlos. Wir verstehen die Ergebnisse als Auftrag, die Qualität dieser Schulart, wie auch die aller anderen Schularten, weiterhin konsequent zu verbessern.“