Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener
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Das Kultusministerium setzt in der Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener ein Landesprogramm um, das die Einrichtung von neun Grundbildungszentren und zusätzlich 52 Kursen umfasst. Das Landesprogramm wird unterstützt vom Landesbeirat für Alphabetisierung und Grundbildung Baden-Württemberg mit 32 Mitgliedverbänden und -einrichtungen. Bis Ende 2020 soll eine Landesstrategie entstehen, die die Bemühungen von fünf Ministerien und des Landesbeirats zusammenfasst.
Rund 6,2 Millionen Menschen gering literalisiert
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Die Auswirkungen einer nicht ausreichenden Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener betreffen Gesellschaft und Wirtschaft in starkem Ausmaß. Die Universität Hamburg hat in ihrer ersten Level One-Studie 2011 festgestellt, dass deutlich mehr Menschen davon betroffen sind als vorher erwartet. Nach einer zweiten Studie von 2018 geht die Universität von 6,2 Millionen betroffenen Erwachsenen in Deutschland aus. Muttersprachler überwiegen mit einem Anteil von 53 Prozent. (https://leo.blogs.uni-hamburg.de) Statistisch umgerechnet auf Baden-Württemberg ergibt sich daraus eine Zahl von bis zu 800.000 Erwachsenen mit Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Die Folgen sind gravierend: Oftmals drohen Arbeitslosigkeit und Armut. Die Gefahr, dass Eltern eine solche Schwäche an die Kinder weitergeben, ist groß. Die Probleme werden durch die Digitalisierung verstärkt, da Betroffene in Wirtschaft und Gesellschaft noch stärker abgehängt werden könnten.
Ziel der Alphabetisierung und Grundbildung
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Das Ziel der Alphabetisierung und Grundbildung ist, möglichst viele Erwachsene mit einer zu geringen Grundbildung und unzureichenden Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen zu erreichen. Das Landesprogramm soll sie durch passgenaue Angebote möglichst niederschwellig und zielgerichtet in ihrer jeweiligen Umgebung ansprechen und für eine Teilnahme an Kursen motivieren. Durch eine solche Teilnahme ist eine größere Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben möglich ebenso wie ein gesünderes Leben mit einer höheren Zufriedenheit, mehr Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein. Hinzu kommen bessere Chancen am Arbeitsplatz bis hin zu neuen Aufstiegsmöglichkeiten.
Durch die Grundbildung werden zudem weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in den Blick genommen, die für die kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen wichtig sind. Dies entspricht auch der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung, die von Bund und Ländern für 2016 bis 2026 ausgerufen worden ist. Das „Grundsatzpapier der Nationalen Dekade 2016-2026“ versteht unter Grundbildung ausreichende Fähigkeiten im Rechnen sowie weitere Grundkompetenzen in Bereichen wie Digitales, Gesundheit, Haushalt (Finanzen), Soziales und Demokratiebildung. Die Beherrschung der deutschen Sprache kommt hinzu. Grundbildung orientiert sich somit an der Anwendungspraxis und -notwendigkeit von Schriftsprachlichkeit im beruflichen und gesellschaftlichen Alltag. www.alphadekade.de
Landesstrategie für Alphabetisierung und Grundbildung
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Das Landesprogramm umfasst sowohl eine direkte Förderung Betroffener über die Weiterbildung als auch die Einrichtung neuer Netzwerke, um die Menschen in den unterschiedlichen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft ansprechen zu können. Der Ministerrat erteilte dazu am 27. November 2018 fünf Ressorts den Auftrag, eine Landesstrategie für Alphabetisierung und Grundbildung Baden-Württemberg auszuarbeiten. Beauftragt sind die Ministerien für Kultus, Jugend und Sport (Federführung), für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau, für Soziales und Integration, für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Die Landesstrategie soll bis Jahresende 2020 dem Ministerrat vorgelegt werden, um entsprechende Projekte in die Wege leiten zu können.
Grundbildungstag 2020
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Am Freitag, 2. Oktober 2020 fand der zweite Grundbildungstag unter dem Motto „Grundbildung – ein Kitt unserer Gesellschaft“ statt. Er thematisiert unter anderem die Herausforderungen und Chancen der digitalen Grundbildung. Die Vorträge, Foren und Podiumsdiskussionen mit Fachleuten aus Wissenschaft, Praxis und Politik wie Prof. Dr. Josef Schrader, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung, und Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann beleuchteten zudem weitere Aspekte der Grundbildung.
Die Pressemitteilung finden Sie hier.
Landesbeirat für Alphabetisierung und Grundbildung
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Für die Landesstrategie wird eine Zusammenarbeit von Akteuren in Wirtschaft und Gesellschaft angestrebt, die direkt auf Betroffene zugehen können. Dazu gründete das KM 2017 den Landesbeirat für Alphabetisierung und Grundbildung. Darin arbeiten die genannten fünf Ministerien und 32 wichtige Verbände zusammen, darunter etwa: Arbeitgeberverband, DGB, Volkshochschulverband, BW, Kirchen und die Kommunalen Spitzenverbände. Die Mitglieder des Landesbeirats haben sich in einer Verpflichtungserklärung dazu bereit erklärt, die Landeskampagne auch in ihren Organisationen zu unterstützen.
Fachstelle für Grundbildung und Alphabetisierung
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Bestandteil des Landesprogramms ist seit 2016 die Fachstelle für Grundbildung und Alphabetisierung Baden-Württemberg, die über den Europäischen Sozialfonds und mit Landesunterstützung finanziert wird. Trägerin der Fachstelle ist die Technische Akademie für Berufliche Bildung Schwäbisch Gmünd.
Die Fachstelle ist fachlich dem Kultusministerium zugeordnet und koordiniert für Baden-Württemberg die Grundbildungs- und Alphabetisierungsarbeit für Erwachsene.
Sie ist Ansprechpartnerin für Lernende, Weiterbildungsanbieter, Verbände/Institutionen und Betriebe mit Weiterbildungsbedarf und steht für alle Fragen rund um das Thema zur Verfügung. Dazu zählt auch die Fortbildung Kursleitender. Die Fachstelle bietet hierzu in Zusammenarbeit mit der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung Niedersachsen Online-Fortbildungen an für Kursleitende und Planende in den Kursen zur Alphabetisierung und Grundbildung sowie für eine gelingende Grundbildungsarbeit.
Sie arbeitet zudem auf nationaler und auf EU-Ebene mit, um Ergebnisse einem erweiterten Kreis von Akteuren zugänglich zu machen. Zudem hat die Landeszentrale für politische Bildung die Fachstelle in die Steuerungsgruppe zum Handlungsfeld "Politische Grundbildung marginalisierter/prekärer gesellschaftlicher Gruppen" berufen. Hier geht es darum, Menschen in benachteiligenden Lebenssituationen Wege in einschlägige Kurse zu ebnen. www.fachstelle-grundbildung.de.
Projektförderung im Landesprogramm
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Das Kultusministerium unterstützt Betroffene seit 2013 direkt durch die Einrichtung besonderer Kurse zur Alphabetisierung und Grundbildung. Diese Projektförderung wurde 2015 bis 2018 und seit 2019 im Rahmen eines Landesprogramms verstärkt und mehrstufig ausgebaut. Das Land stellt für die Förderung von 2019 bis 2021 insgesamt 1,9 Millionen Euro bereit. Das Landesprogramm umfasst die Einrichtung von neun Grundbildungszentren (GBZ) mit zusätzlichen 24 Kursen:
- Abendakademie Mannheim (VHS)
- Institut Fakt.ori Ulm
- Internationaler Bund Lörrach
- Internationaler Bund Pforzheim
- VHS Freiburg
- VHS Freudenstadt
- VHS Heidelberg
- VHS Konstanz
- VHS Offenburg
Darüber hinaus wurden 28 Kurse bei 13 Weiterbildungsträgern bewilligt:
- Bildungswerk Erzdiözese Freiburg
- Deutsche Angestellten Akademie Reutlingen
- Effektiv Bildung Rastatt
- Evangelisches Bildungswerk Oberschwaben
- Internationaler Bund Esslingen
- InFö-Zentrum Tübingen
- Kolping Bildungswerk Freiburg
- Neue Arbeit Stuttgart
- Verein für internationale Jugendarbeit Stuttgart
- VHS Heilbronn und Unterland
- VHS Lahr
- VHS Schwäbisch Gmünd
- VHS Tuttlingen
Grundbildungszentren (GBZ) sind das Hauptinstrument, um Betroffene aller Zielgruppen vor Ort möglichst niederschwellig zu erreichen und sie für die Teilnahme an Kursen zu gewinnen. Die GBZ sind zudem lokal und regional zuständig für die Netzwerkbildung mit Arbeitsagenturen, Jobcentern, Kommunen und Unternehmen sowie mit Caritas, Tafelläden oder Mehrgenerationenhäusern. Damit sollen diejenigen Lebensbereiche in Form eines Alpha-Bündnisses oder eines Runden Tisches einbezogen werden, die direkt Kontakt mit Betroffenen haben. Zu den Aufgaben der GBZ zählen zudem die Information der Öffentlichkeit, die Fortbildung der Kursleitenden und die Sensibilisierung von Verwaltungen. Vier der GBZ werden bis Jahresende 2020 evaluiert, um die Gelingensbedingungen für positive Ergebnisse zu identifizieren.
Flüchtlingsprojekt BEF Alpha
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Das Kultusministerium setzt in der Grundbildung zudem das Projekt "Bildungsjahr für erwachsene Flüchtlinge ohne oder mit geringen Sprach- und Schreibkenntnissen" (BEF Alpha) konzeptionell und organisatorisch um, das im Rahmen der Bildungsketten-Vereinbarung mit dem Bund vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird. Das Projekt startete 2016 mit zwölf Standorten im Land und umfasst derzeit rund 40 Kurse bei Weiterbildungsträgern.
Zielgruppe sind geflüchtete Erwachsene im Alter von in der Regel 25 bis 35 Jahren und in erster Linie Frauen mit Kinder bis vier Jahren. Durch das Angebot einer Kinderbetreuung ist es gelungen, den Anteil der Teilnehmerinnen an den Kursen auf rund 70 Prozent zu steigern. BEF Alpha-Kurse nehmen immer wieder Teilnehmende auf, die Integrationskurse abgebrochen haben.
BEF Alpha umfasst 35 Wochen plus fünf Wochen Praktikum in Unternehmen. Inhaltlich werden die drei Bereiche Alphabetisierung/Sprachförderung, Berufsorientierung sowie Alltag/Demokratiebildung unterrichtet. Rückmeldungen aus den Unternehmen auf die Praktika sowie durch die Nachfrage von Arbeitsagenturen und Jobcentern nach Kursen bestätigen die positive Wirkung von BEF Alpha etwa für die Berufsorientierung der Teilnehmenden. Die UNESCO hat Konzeption und Ergebnisse von BEF Alpha als Beispiel der Erwachsenenbildung für Geflüchtete veröffentlicht.
Broschüre „BEF Alpha oder: Wie Integration gelingen kann“
https://uil.unesco.org/adult-education/citizenship-education
Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung
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Das Landesprogramm Baden-Württemberg ist Bestandteil der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung, die von Bund, Ländern und Partnern für den Zeitraum 2016 bis 2026 ausgerufen worden ist. Sie wollen so die Lese- und Schreibfähigkeiten Erwachsener in Deutschland deutlich verbessern. Zentraler Erfolgsfaktor: mehr Grundbildungsangebote und mehr Menschen, die diese Angebote wahrnehmen. Die Frage, wie Erwachsene mit niedrigen Schriftsprachkompetenzen erreicht und zum Lernen aktiviert werden können, ist die zentrale Herausforderung aller Maßnahmen. www.alphadekade.de
Nationale Weiterbildungsstrategie
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Das Kultusministerium beteiligt sich an der 2019 unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales entstandenen Nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS). Sie soll unter Mitarbeit der Sozialpartner vor allem Antworten auf den digitalen Wandel finden und für Chancengleichheit für alle Menschen in der Arbeitswelt sorgen. Wichtiger Bestandteil ist die digitale Grundbildung. Die NWS sieht einen besonderen Handlungsbedarf für niedrigqualifizierte Menschen, von denen der Universität Hamburg zufolge rund 25 Prozent elementare Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben, sowie für Zuwandererinnen und Zuwanderer, die noch nicht über ausreichendes Sprachniveau verfügen. An Weiterbildungsstrukturen und -einrichtungen stellt diese Entwicklung verstärkt die Aufgabe, bei der Angebotsgestaltung noch stärker auf die individuellen Voraussetzungen einzugehen. Die Partner der NWS wollen die gemeinsame Strategie bis 2021 in definierten Handlungsfeldern ausarbeiten. www.bmbf.de/de/nationale-weiterbildungsstrategie