Bei dem am 1. Juli beginnenden Nachrückverfahren werden die Karten noch einmal neu gemischt. Bewerberinnen und Bewerber sind nämlich nicht mehr an ihren ursprünglichen Einstellungsantrag gebunden. Während im Lehramt Grundschule und im Lehramt Werkreal-, Haupt- und Realschule noch jeweils mehr als 400 Stellen zur Verfügung stehen, ist die Zahl der noch offenen Stellen an Gymnasien überschaubar.
Für Lehrkräfte mit gymnasialem Lehramtsstudium, die bisher noch kein Einstellungsangebot erhalten haben, lohnt sich deshalb auf www.lehrer-online-bw.de der Blick auch auf die Stellen an Grund-, Werkreal-, Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschulen. Denn auf Stellen, die für diese Schularten ausgeschrieben sind, können sich Gymnasiallehrkräfte ebenfalls noch bewerben. Über eine berufsbegleitende Zusatzqualifizierung können die Lehrkräfte dann jeweils die Befähigung für das Lehramt Grundschule oder das Lehramt Werkreal-, Haupt- und Realschule erlangen und anschließend verbeamtet werden.
Bereits im letzten Jahr haben sich einige Gymnasiallehrkräfte zum Schritt an die Grundschule entschieden. Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann sagt zu dieser Option: „Die Rückmeldungen von aktuellen Teilnehmern sind sehr positiv. Sie zeigen, dass es sich auch für die persönliche Weiterentwicklung lohnt, das Angebot wahrzunehmen.“ Doch wie bewerten die Gymnasiallehrkräfte die Möglichkeit, auch an der Grundschule zu arbeiten? Wir haben zwei Lehrerinnen gefragt, die nach ihrem gymnasialen Lehramtsstudium den Schritt an die Grundschule unternommen haben.
Frau Freiesleben, warum haben Sie sich für den Schritt entschieden, als gymnasiale Lehrkraft an eine Grundschule zu
gehen?
Freiesleben: Es hat mich gereizt, dass ich dank der Zusatzqualifikation die Perspektive habe, in einem Jahr verbeamtet zu
werden. Denn die Alternative wäre ein Bundeslandwechsel gewesen, da meine Aussicht auf eine gymnasiale Stelle in ganz
Baden-Württemberg schlecht war. Die unbefristete Stelle war ein verlockendes Angebot.
Wie waren die Rückmeldungen von Lehrerkollegen?
Freiesleben: Ich habe schon eine gewisse Skepsis gespürt, ob das funktionieren kann. Schließlich war ich
fachfremd, und mir war auch die Pädagogik im Grundschulbereich nicht so geläufig. Da musste ich mich einarbeiten, aber hier haben
mich die Kollegen großartig unterstützt, nachdem ich meine Situation geschildert hatte. Durch den guten persönlichen
Austausch bin ich da immer besser reingekommen…
…und sind nun auch mit Ihrer Arbeit an der Grund- und Gemeinschaftsschule zufrieden?
Freiesleben: Ja. Es macht Spaß und ich habe mich auch nicht mehr für den gymnasialen Bereich beworben. Mir
gefallen besonders die Rückmeldungen von den Schülern. An einer Grundschule hat man im Vergleich zum Gymnasium etwas weniger
Vorbereitungsaufwand, da mehr Material unter Kollegen ausgetauscht wird. Auch die Korrekturen von Klassenarbeiten sind weniger, die am
Gymnasium häufig in die Ferienzeit fallen. Dafür nimmt die Elternarbeit an einer Grundschule deutlich mehr Zeit in Anspruch.
Warum können Sie den Schritt empfehlen?
Freiesleben: Es ist natürlich immer eine persönliche Entscheidung. Und man sollte schon bedenken, dass es eine
ganz andere Tätigkeit ist. Aber man bekommt tolle Rückmeldungen, die Zusammenarbeit mit den Kollegen ist sehr eng, und die
Aussicht auf das höhere Einkommen, nachdem man drei Jahre Lehrer an der Grundschule war, ist natürlich auch reizvoll.
Frau Seitz, weshalb haben Sie sich als gymnasiale Lehrkraft an einer Grund- und Gemeinschaftsschule beworben?
Seitz: Ich habe mich von Anfang an auch an Grundschulen beworben. Mit meiner Fächerkombination Deutsch und Englisch
war die Jobsituation ziemlich schlecht, und ich wollte wieder zurück in die Heimatgegend. Außerdem hatte ich das Gefühl,
dass es mich weiter bringt, weil ich bis dahin nur das Gymnasium kannte, aber nicht die Schulen, wo die Kinder herkommen. Ein Gespräch
mit einer Grundschullehrerin hat mich in meiner Meinung bestärkt.
Als feststand, dass Sie nach Herrenberg gehen, wie fielen die Reaktionen von den Referendarskollegen aus?
Seitz: Viele haben mich gefragt, ob ich das wirklich machen wolle. Das liegt auch daran, dass sich viele von vorneherein
dagegen entschieden haben, weil es eben doch etwas anderes ist. Es gab positive Rückmeldungen, aber auch viel Verwunderung. Ich habe
nicht direkt negative Aussagen erhalten, aber ein bisschen Kopfschütteln hat man schon gespürt.
Was haben Sie den Kollegen dann entgegnet?
Seitz: Es ist besser, einen Job zu haben, als arbeitslos zu sein. Viele entscheiden sich aus Prinzip gegen die
Grundschule, nehmen dann lieber keinen Job an oder „nur“ eine Krankheitsvertretung oder wechseln in ein anderes Bundesland.
Für mich ist es aber ein Traumjob, Lehrer zu sein. Und ich wollte unterrichten. Da gehe ich gerne den Umweg, aber vielleicht es ja
jetzt auch der richtige Weg.
Sie sprechen vom „richtigen Weg“. Da klingt mit, dass Sie sich vorstellen könnten, an der Grundschule zu
bleiben…
Seitz: …das stimmt. Ich finde es tatsächlich super, mir macht die Arbeit unglaublich viel Spaß. Ich bin
auch direkt Klassenlehrerin einer ersten Klasse geworden. Natürlich ist es ein ganz anderes Unterrichten, man leistet mehr
Erziehungsarbeit als stoffliche Vermittlung. Aber mir gibt das unglaublich viel, und mir bringt das auch als Lehrerin unglaublich viel,
weil man auch etwas anderes sieht. Hinzu kommt, dass mich die Schule und die Kollegen extrem unterstützt haben. Ich fühle mich
hier pudelwohl. Und in den Klassen ist es schön, wie der Lernfortschritt zu sehen ist. Und auch die Motivation der Schüler ist an
der Grundschule größer als in älteren Klassen. Hier wollen die Kinder in die Schule, sie wollen etwas lernen, sie wollen
Hausaufgaben machen.
Sie könnten sich also eine Anstellung an der Grundschule dauerhaft vorstellen?
Seitz: Ja. Wobei ich schon auch die Größeren unterrichten möchte. Daher wäre es schön, wenn ich
hier an der Gemeinschaftsschule dann auch bei älteren Schülern zum Einsatz komme. Denn auch das Unterrichten mit den
Größeren macht mir Spaß, und es ist einfach etwas anderes. Ich bin zum Beispiel sehr gern Englischlehrerin, und da beginnt
der fachliche Unterricht so richtig erst in Klasse fünf.
Wenn Sie ein aktueller Referendar fragt, ob Sie den Weg über die Grundschule empfehlen können, was antworten Sie
ihm?
Seitz: Dass sich der Schritt schon deshalb lohnt, um einen Einblick in andere Schularten zu gewinnen. Das ist etwas ganz
Wertvolles. Und hier wird die vielbeschworene Differenzierung wirklich gelebt, und zwar die ganze Zeit über. Außerdem geben einem
die Kinder sooo viel zurück. Was einem viele Kinder an einer Grundschule geben, das geben einem nur wenige am Gymnasium.
Hatten oder haben Sie Sorgen, einen „Stempel“ Grundschullehrerin zu bekommen?
Seitz: Nein, darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe das aber auch nie von jemandem gehört. Mein
Freundeskreis besteht zum Großteil aus Gymnasiallehrern, und da wird kein großer Unterschied gemacht.